Wie Corona den Alltag im Kinderheim „Wolkenfrei“ in Dessau verändert
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Herzlich WillkommenWie Corona den Alltag im Kinderheim „Wolkenfrei“ in Dessau verändert

Die Corona-Pandemie bringt auch die Mitarbeitenden von Kinderheimen an ihre Grenzen. Doch inzwischen übernehmen die älteren Kinder selbst Verantwortung – für sich und die Jüngeren. So entsteht ein neues “Wir-Gefühl”. Ein Besuch.

Elias turnt weit oben auf dem Klettergerüst. So schnell fürchtet sich der 11-Jährige mit den braunen Knopfaugen vor nichts. Aber das Coronavirus findet der aufgeweckte Junge doch irgendwie beängstigend: “Wir können nicht mehr in die Schule, Corona ist ganz schön schwierig.” Elias lebt seit einem Jahr im Dessauer Heim. Gemeinsam mit 30 anderen Mädchen und Jungen im Alter zwischen drei und 18 Jahren.

Seit der Ausbreitung des Virus hat sich im täglichen Ablauf viel verändert. “Wir müssen die Kinder nun 24 Stunden rund um die Uhr hier betreuen”, sagt Daniela Tischer, eine von 18 Erzieherinnen im Haus. “Die Kindergartenkinder werden separat beschäftigt, damit die Älteren am Vormittag in Ruhe ihre Schularbeiten erledigen können”. Für diese Rundumbetreuung wäre eigentlich mehr Personal nötig, aber so schnell finden sich keine geeigneten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen.

Abstandsregeln taugen nicht

Tischer und ihre Kollegen kümmern sich rührend um die kleinen und größeren Heimbewohner, stoßen manchmal auch an ihre Grenzen. “Es ist schon ziemlich anstrengend, die Kinder stets bei Laune zu halten”, so die stellvertretende Heimleiterin. Die Mädchen und Jungen aus dem Kinderheim “Wolkenfrei” können wegen Corona seit Ende März das eingezäunte Gelände nicht verlassen, daher auch nicht mehr ihre Eltern besuchen. Schlimm für die Kinder. “Gerade die Kleinen müssen wir auch mal in den Arm nehmen und drücken”, sagt Tischer. Die empfohlenen Abstandsregeln taugen nicht für eine fürsorgliche Kinderbetreuung.

Leiterin Susann Böckel freut sich über das Engagement der Kinder während der Corona-Zeit.
Bildrechte: MDR/ Martin Krause

Beleidigungen wegen Großeinkäufen

Ganz neue Erfahrungen in der Corona-Krise hat Peggy Reinhardt gemacht. Sie ist als “Wirtschaftsmutti” für die Einkäufe im Heim zuständig. Sechs Packungen Wurst und Käse, viermal Butter, eine Palette Milch, drei Pakete Klopapier – kein Hamsterkauf, sondern die übliche Menge für eine ganze Gruppe Kinder.

In Corona-Zeiten wurde Reinhardt deswegen im Supermarkt aber nicht nur schief angesehen. “Wir sind übel beleidigt und beschimpft worden. Auch vor den Kindern.” Reinhardt ist noch immer fassungslos. Inzwischen tragen die Einkäufer spezielle Firmen-Shirts mit dem Logo des Kinderheims. Seitdem ist Ruhe.

Kinder übernehmen Initiative

Weitgehend ruhig war es vor Corona auch an den Nachmittagen im Heim. Sportverein, Tanzgruppe, Kreativwerkstatt – die meisten Heimkinder waren irgendwie außerhalb beschäftigt. Zeit zum Durchatmen für die Mitarbeitenden. Diese Angebote fehlen aber nun bereits seit Wochen. Da sind Geduld und Kreativität gefragt.

Und die Heimkinder kümmern sich teils selbst um ihre Freizeitgestaltung. Pascal ist leidenschaftlicher Kampfsportler. Inzwischen trainiert der Junge seine Mitbewohner. “Wir machen Krafttraining und ich zeige, wie man sich selbst verteidigt”, erzählt Pascal stolz. Lena leitet eine Koch-AG. “Wir backen Brot oder Kekse, machen frische Salate, wir kochen worauf wir Lust haben”, sagt die 17-Jährige mit den blonden Haaren.

Lena kocht gerne und probiert derzeit neue Rezepte aus.
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Boxen, kochen und Tischtennis bringen Abwechslung

Das Engagement der Kinder verfolgt Susann Böckel mit großer Freude. Böckel ist Leiterin des Erziehungsverbunds Anhalt des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, dem Träger des Dessauer Kinderheims. “Die Kinder sind mit Eifer dabei und sie machen das toll”, sagt Böckel.

Und das Angebot im Heim ist durchaus vielfältig. Es gibt Kurse im Fußball, Tischtennis, Tanzen und Volleyball. “So lernen bereits die Jüngsten sich gegenseitig zu helfen und Verantwortung zu übernehmen”, ist Böckel begeistert. Für Unterhaltung ist also gesorgt im Heim und auf dem weitläufigen Gelände.

Pascal organisiert für die anderen Kinder Trainingseinheiten.
Bildrechte: MDR/ Martin Krause

“Neues Wir-Gefühl”

Tapfer stemmen sich die Dessauer Heimkinder gegen die Krise. Corona sorgt in der Einrichtung auch für ein neues Wir-Gefühl. “Schon damals beim schlimmen Hochwasser war das so, in der Krise halten unsere Kinder fest zusammen, das ist das Schöne”, sagt Erzieherin Daniela Tischer. Nun ist weiterhin Geduld gefragt, bis irgendwann im “Wolkenfrei” der gewohnte Alltag wieder einkehrt. “Das wird schon werden”, sagt Elias und winkt zuversichtlich von ganz oben auf dem Klettergerüst.

Quelle: MDR Sachsen-Anhalt (https://www.mdr.de/sachsen-anhalt/dessau/dessau-rosslau/wie-corona-den-alltag-im-kinderheim-veraendert-100.html)

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